2008-06 Kulturwortschatz Europa: Toleranz
Man soll ja, so heisst es, nicht neuen Wein in alte Schläuche füllen. Für den wirklichen Wein und die wirklichen „Schläuche“, diese Schaf- und Ziegenhäute, und für manches andere mag das gelten; für die Wörter gilt das Umgekehrte: Da macht der neue Wein die alten Schläuche jeweils wieder jung.
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Man soll ja, so heisst es, nicht neuen Wein in alte Schläuche füllen. Für den wirklichen Wein und die wirklichen „Schläuche“, diese Schaf- und Ziegenhäute, und für manches andere mag das gelten; für die Wörter gilt das Umgekehrte: Da macht der neue Wein die alten Schläuche jeweils wieder jung.
Die „Toleranz“ ist solch ein alter, wundersam verjüngter Schlauch. Der Ausgang „-anz“ weist aufs Lateinische; da finden wir im Lexikon eine zuerst bei Cicero belegte und wohl von ihm neu geprägte tolerantia samt ihrer Negation, der intolerantia, eine Ableitung des seit Plautus und Terenz geläufigen Verbs tolerare, „ertragen, erdulden“, und seines Partizips Präsens Aktiv tolerans mit dem Genitiv tolerantis. Aber diese Ciceronische tolerantia bezeichnete in der Antike wie ihr Grundwort tolerare noch keineswegs eine mitmenschliche „Toleranz“ gegenüber dem Andersdenkenden, Andersgläubigen, wie wir sie verstehen, sondern vielmehr eine Art „Leidens-Toleranz“, eine persönliche „Belastbarkeit“ gegenüber allen möglichen körperlichen und seelischen Belastungen.
Weitere faszinierende Wortgeschichten finden Sie in folgenden Büchern:
Bartels, Klaus, Wie die Murmeltiere murmeln lernten. 77 Wortgeschichten, Philipp von Zabern, Mainz 2001
Bartels, Klaus, Trüffelschweine im Kartoffelacker. 77 Wortgeschichten, Philipp von Zabern, Mainz 2003
Bartels, Klaus, Wie Berenike auf die Vernissage kam. 77 Wortgeschichten, 3., durchgesehene Auflage, Philipp von Zabern, Mainz 2004
Bartels, Klaus, Die Sau im Porzellanladen. 77 neue Wortgeschichten, Mainz 2008.